Rio, Sao Paulo und die Spannung vor der Heimreise

Am Donnerstag fuhren wir mit dem Bus die etwa 450 Kilometer von Belo Horizonte bis nach Rio de Janeiro, voll gespannter Erwartung auf die beruehmte brasilianische Metropole, nachdem uns „Belo“ ja nicht gerade ueberzeugt hatte.

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Unser Hotel in Rio lag praktischerweise mitten im Ausgehviertel Lapa, so dass wir abends nur vor die Tuer treten mussten, um die vielen irrsinnig schraegen Nachtschwaermer von einem der Strassenlokale aus zu beobachten.

 

Spaetestens am naechsten Tag, als wir auf dem Gipfel des Corcovado mit seiner weltberuehmten Christusstatue standen, und einige Zeit spaeter vom imposanten Zuckerhut hinunterschauten, hatte uns Rio ueberzeugt. Die Stadt ist wirklich phaenomenal gelegen und die Aussicht von beiden Bergen einfach phantastisch! Von oben sahen wir, wie sich die Stadt geradezu dramatisch in die von bewaldeten Bergen und kargen Felsen gepraegte Landschaft fuegt und sich ueber die unzaehligen weissen Straende in allen Richtungen ins Meer zu ergiessen scheint.

 

Zum Glueck hatten wir noch einen weiteren Tag um die Stadt zu erkunden, brauchten wir doch wegen der langwierigen Fahrerei mit oeffentlichen Bussen und dem Schlangestehen in Tourimassen den kompletten ersten Tag, um auf die beiden Gipfel zu kommen.

 

Den zweiten Tag begannen wir etwas abseits der ausgetretenen Touristenpfade mit einer gefuehrten Favelatour. Etwas mulmig zumute war uns beim Gedanken an die beruehmt-beruechtigen Randbezirke Rios schon, werden diese doch immer wieder ausschliesslich mit Gewalt und Drogen in Verbindung gebracht. Als wir in „Vila Canoas“, einer recht kleinen der etwa 1.200 Favelas der Stadt ankamen, zerstreuten sich diese Bedenken sofort. Von der erwarteten schlimmen Armut, von Dreck und Gestank, war nichts zu bemerken. Natuerlich gehoeren die Bewohner dieses Viertels nicht zu den „Reichen“, die im uebrigen direkt nebenan hinter einer hohen Mauer wohnen und auf dem angrenzenden Golfplatz spielen, dennoch hatte ich mit deutlich aermeren Verhaeltnissen gerechnet und wuerde die Leute eher der unteren Mittelschicht zuordnen. Auch als wir hinter Patricia, unser Fremdenfuehrerin, in die engen, feuchten und dunklen Gaenge zwischen den wild gewachsenen Haeusern eintauchten, war von Dreck keine Spur. Fast alle Haeuser waren liebevoll hergerichtet und saemtliche Leute denen wir begegneten, machten einen ausserordentlich gepflegten Eindruck. Trotzdem sind in diesem Viertel Krankheiten, insbesondere Tuberkulose, ein grosses Problem: In den tiefen, schmalen Gassen zirkuliert die Luft nicht, es dringt kaum Sonnenlicht hinein und das feucht-heisse Klima traegt den Rest zu Schimmel und Moder bei.

 

Irgendwann erreichten in dem Gewirr aus Gassen und steilen Treppen einen kleinen Platz inmitten der bis zu sechs Stockwerke hohen Gebaeude und konnten dort die hiesige „Baukunst“ bestaunen. Ein ziemliches Stueckwerk, verkauft doch jeder Hauseigentuemer sein Dach, auf dem dann der Kaeufer wiederum sein eigenes Heim errichtet. In Vila Canoas hat sich die Gemeinschaft darauf geeinigt, dass nach sechs Stockwerken Schluss ist, in anderen Favelas soll es aber Gebaeude mit elf und mehr Etagen geben! Insgesamt sind die so aufgetuermten, im Schnitt etwa 40 Quadratmeter grossen „Appartements“ etwas windschief, machen aber trotzdem einen soliden Eindruck. Nachdem wir noch an einem kleinen Friseursalon, einigen „Kneipen“ und Garkuechen vorbeigekommen waren, befanden wir uns plotzlich wieder an unserem Ausgangspunkt.

 

Danach ging es weiter nach Rocinha, die mit ueber 70.000 Bewohnern groesste Favela Rios, wobei niemand weiss, wie viele es wirklich sind. Schon am Eingang des Viertels bemerkten wir ein grosses Aufgebot der Eliteeinheit der brasilianischen Militaerpolizei, deren wenig geschmackvolles Logo einen von einem Schwert durchbohrten Totenkopf vor zwei gekreuzten Pistolen zeigt. Der Hintergrund der massiven Praesenz: Vor einiger Zeit war Rocinha noch fest in der Hand eines Drogenkartells, bis es vor etwa fuenf Wochen von der Polizei durch eine grossangelegte Razzia, bei der es viele Festnahmen (und erstaunlicherweise keine Schiesserei) gab, „befreit“ wurde. Bei frueheren Touren durch die Favela gab es am Eingang des Viertels einen von bewaffneten Jugendlichen bewachten Kontrollpunkt und Fotos waren strengstens tabu. Nun sind die bewaffneten Handlanger der Drogenbosse zumindest von der offenen Strasse verschwunden und an ihre Stelle sind berittene und im Auto Streife fahrende, schwer bewaffnete Polizisten getreten. Die Bewohner wissen laut Patricia nach der anfaenglichen Euphorie auch nicht so recht, was sie davon halten sollen; zum Einen ist das Misstrauen gegenueber der zum Teil korrupten Polizei gross und zum Anderen haben die Drogenbosse wohl auch einiges Gutes fuer die „Community“ getan. Ausserdem aeusserte Patricia die Befuerchtung, dass sich die Berufsverbrecher, die nichts Anderes gelernt haben und ein gutes Einkommen gewoehnt sind, auf Raubueberfaelle und Einbrueche verlegen und somit Rio insgesamt wieder unsicherer wird.

 

Nachdem wir ein wenig ueber die Hauptstrasse des Viertels geschlendert waren, fuhren wir den Hang hinauf zum Haus eines der reichsten Bewohner Rocinhas, von dessen Terrasse wir einen atemberaubenden Blick ueber die gesamte Favela, die umgebenden Berge und das vor uns liegende Meer hatten. Den letzten Stopp der Tour legten wir anschliessenden in dem benachbarten Viertel Gavea ein, um einen weiteren spektakulaeren Blick ueber die Stadt mit Lagune, Corcovado und Zuckerhut zu geniessen.

 

Ziemlich beeindruckt vom Erlebten und den vielen neuen Erkenntnissen erreichten wir gegen Mittag die Copacabana, wo wir uns von Patricia verabschiedeten. Direkt vom Armenviertel an einen der beruehmtesten Straende der Welt mit aberwitzig teuren Hotels im Ruecken – viel krasser haette der Kontrast nicht sein koennen! Nachdem wir uns durch die Menschenmassen zum Wasser hin geschlaengelt hatten und dort etwas entlangspazierten, bestaetigte sich meine Befuerchtung: Die sprichwoertlichen Strandschoenheiten der Copacabana gehoeren ins Reich der Mythen und Legenden! Die durchschnittliche Brasilianerin taete gut daran, den ultra knappen Rio-Bikini, die hier tatsaechlich sehr verbreitet sind, zum Wohle ihrer Mitmenschen gegen einen zuechtigen Badeanzug einzutauschen. Immerhin sind die Caipirinhas in den Strandbars guenstig und schmecken so wie man es sich vorstellt, zumindest sagt das Tianne, ich bin ja antibiotikumsbedingt immer noch auf Alkoholentzug.

 

Nach einem ordentlichen Rodizio-Mittagessen, bei dem uns die herumlaufenden Kellner Wuerstchen, Steak, Babybeef, Roastbeef, Rippchen, mit Kaese ueberbackenes Filet, Prime Rib, Huehnchen und Lamm von ihren Spiessen direkt auf den Teller schnitten, ging es zum naechsten Strandviertel des Tages, Ipanema.

 

Trotz der fast unertraeglichen Hitze von 38 Grad am spaeten Nachmittag war der Strand dort noch voller als die Copacabana am Vormittag. Von den Volleyballfeldern bis in den Spuelsaum hinein war jedes Fleckchen Sand belegt, und das auf einer Laenge soweit das Auge reicht! Als wir es geschafft hatten, einmal ans Wasser und zurueck zu kommen ohne jemanden zu treten, hatten wir genug fuer den Tag und machten uns auf den Weg zurueck ins Hotel.

 

Am naechsten Morgen ging es mit dem Bus nach São Paulo, das wir nach sechs Stunden Fahrt durch saftig gruene Waelder erreichten. Dort kamen wir in einem japanischen Hotel im japanischen Viertel unter – gut, guenstig und zentrumsnah gelegen – was will man mehr! Tatsaechlich ist São Paulo die Stadt mit den meisten japanischen Bewohnern ausserhalb Japans, insofern verbuchten wir das abendliche Sushiessen in der Naehe unseres Hotels unter Kulturausgaben, nachdem wir in der am Sonntagnachmittag ziemlich ausgestorbenen Innenstadt nicht lange verweilt hatten.

 

Heute morgen fuhren wir dann zu einem dem Empire State Building nachempfundenen Hochhaus im Norden des Zentrums, von dessen Aussichtsplattform wir wenigstens noch einen Blick ueber die drittgroesste Stadt der Welt, die sich tatsaechlich fast bis zum Horizont erstreckt, warfen, bevor wir sie ohne sie eigentlich wirklich gesehen und erlebt zu haben, schon wieder verlassen mussten.

 

Gegen Mittag nahmen wir den Bus nach Santos, wo morgen die allerletzte Etappe unser unglaublichen Reise starten wird. Mit dem Containerschiff „Rio de la Plata“ der Hamburg Sued werden wir morgen am Nachmittag in See stechen und ueber Pecem, Rotterdam und Tilbury nach Hamburg reisen, wo wir vorraussichtlich am 6. oder 7. Februar ankommen werden.

Kommentare: 5 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    muddi (Dienstag, 17 Januar 2012 08:49)

    sehr geile endetappe,kommt schon wieder neid auf.die schiffsreise wird ja auch nochmal aufregend.joachim und ich haben grippe,wobei meine von der nachtdemo kommt seit donnerstag.jojo kam ja erst sonntagabend zurück,wohl auch erschöpft und montag gleich wieder zur arbeit,a bissle viel nach dem harten monat und flug über etlich lange stunden.ich musste meine arzttermine verschieben,aber der bub muss arbeiten.so,bleibt gesund und kein skorbut kriegen und ich freu mich,bis bald love muddi

  • #2

    Alex (Dienstag, 17 Januar 2012 13:36)

    Super Story. Ich werde das im November ja selber alles noch sehen. Wobei ich denke das die Polizei im Hinblick auf die wm 2014 ordentlich aufgeräumt hat in den Favelas. Mal sehen wie sich das in diesem Jahr noch entwickelt.
    Habt ne gute Überfahrt. Ich freu
    Mich tierisch auf euch. Denke ich komme vielleicht im März mal hoch. Vorher liegt noch zu viel an und blockiert meine Wochenenden. Aber ihr seid immer herzlich willkommen.
    Alex

  • #3

    meike und harald (Mittwoch, 18 Januar 2012 22:11)

    Hallo ihr 2. Toll, dass wir mit euch um die Welt reisen durften! Wunderschöne Fotos und klasse Berichte.Wissen nicht, wie wir künftig das schlechte Fernsehprogramm überbrücken sollen.Liebe Grüsse und eine gute Heimreise
    meike und harald

  • #4

    buchner (Samstag, 21 Januar 2012 17:15)

    Hallo ihr lieben,wieder eineein loller bericht aus
    Rio , der weltstadt.wünsche euch eine gute schiffahrt nach hause.Man sieht sich.
    Gruß Gerd u. EVA

  • #5

    Die Lettows (Dienstag, 24 Januar 2012 18:22)

    Ein schöner Endspurt! Wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen! Viel Spass noch und schon mal eine gute Heimreise wünschen wir...