Das Grosse Weiss

Am Dienstag nachmittag schifften wir auf der MS Expedition ein, die uns in den folgenden elf Tagen bis zur antarktischen Halbinsel bringen sollte. Um 18.00 Uhr, nachdem auch die letzten Crewmitglieder angekommen waren (Aerolinas Argentinas ist anscheinend nicht die zuverlaessigste Fluggesellschaft), legten wir leicht verspaetet ab in Richtung Ewiges Eis!

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Das knallrote Schiff ist verhaeltnismaessig klein (Kapazitaet fuer ca. 120 Passagiere, es waren gut 100 an Bord, und knapp 50 Besatzungsmitglieder), frisch renoviert und der Rumpf ist extra fuer Fahrten in Polarmeere verstaerkt. In dieser Saison war es die erste Reise in suedpolare Gewaesser, im Sommer der Nordhalbkugel kreuzt sie in der Arktis durch die Gegend. Unsere Kabine war geraeumiger als erwartet, mit Bullauge und eigenem Badezimmer ausgestattet, und das ganze Schiff ist sehr komfortabel.

 

Zuerst ging es durch den Beagle Channel in Richtung Drake Passage, und als erstes stand die obligatorische Sicherheitseinweisung auf dem Programm. Angesichts der Tatsache, dass ein bauaehnliches Schiff desselben Veranstalters 2007 unter mehr oder weniger mysterioesen Umstaenden in der Antarktis gesunken ist, haben wir natuerlich besonders gut aufgepasst und uns zusaetzlich eingepraegt, wo an Deck die Ueberlebensanzuege sind – eine magere Schwimmweste bringt bei -2°C Wassertemperatur ja hoechstens fuer 2 Minuten etwas. Die Rettungsboot-Ueberlebenskapsel hat uns Sicherheitsoffizier Alex hoechstpersoenlich erklaert. Der George-Clooney-Verschnitt aus der Ukraine verbarg seine Verwunderung bei der Touri-Frage nach den sanitaeren Anlagen der Kapsel und deutete auf den darin befindlichen Eimer. Am letzten Abend hat er uns uebrigens mit schwerem russischen Akzent noch einige heisse Stories aus seinem Seefahrer-Naehkaestchen erzaehlt – natuerlich unter dem Siegel der Veschwiegenheit! Die gesamte mit Schiffsangelegenheiten befasste Crew stammte aus osteuropaeischen Gefilden (Brueckensprache Russisch), was uns natuerlich zu wilden Spekulationen ueber Sauforgien am Ruder befluegelte. Dergleichen konnte allerdings genausowenig bestaetigt werden wie irgendwelche Sicherheitsbedenken, das ganze Boot war aeusserst professionell gefuehrt und navigiert. Neben der Schiffscrew waren noch eine Expeditionsleiterin, ein Geologe, ein Historiker, ein Biologe, ein Vogelkundler und mehrere Schlauchbootfahrer an Bord, um uns Hintergruende und gesichtete Wildtiere genau zu erklaeren.

 

Die als rauheste See der Welt beruehmt-beruechtigte Drake Passage gab sich bei unserer 1 ½-taegigen Durchquerung lammfromm und zeigte sich mehr als „Drake Lake“. Einerseits war das natuerlich gut, weil wir dieses Mal ausnahmsweise von alles vollkotzenden Mitreisenden verschont blieben, andererseits haette ich schon gerne ein bisschen mehr Seegang gehabt, schon alleine, um mich noch besser in die Lage der fruehen Entdecker dieser entlegenen Welt hineinversetzen zu koennen, die sich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Segelbooten auf diese unglaubliche Reise begeben haben. Wenn diese Expeditionen nicht historisch verbrieft waeren, ich koennte sie nicht glauben!

 

Durch das vorteilhafte Wetter kamen wir frueher als erwartet in unserem Zielgebiet an und konnten schon am Nachmittag des 10. Novembers den ersten Landgang in Angriff nehmen! Im „Mudroom“ warfen wir uns in Gummistiefel, Regenhose und Schwimmweste und bestiegen anschliessend eines der ca. 10 an Bord befindlichen robusten, mit 50 PS Aussenbordmotor ausgestatteten Schlauchboote, das uns an die Kueste von Barrientos, einem kleinen Eiland der Aitcho-Inselgruppe, brachte. Heerscharen von Gentoo- Pinguinen, die dort nisten, bereiteten uns ein entzueckendes watscheliges Empfangskomitee. Die Guides hatten mit Faehnchen einen Pfad zwischen den einzelnen Nistkolonien mit ihren Kieselsteinnestern abgesteckt, dem wir brav folgten – hier ist schliesslich das Reich der Pinguine und Robben, und wir Menschen sind nur zu Gast! Den putzigen Viechern im „Frack“, die an Land ziemlich unbeholfen herumstolpern bzw. auf dem Bauch herumschlittern und sich gegenseitig staendig die Steinchen fuer die Nester klauen, koennte man stundenlang zuschauen!

 

Am naechsten Tag hatten wir wettertechnisch weniger Glueck – es herrschte zwar strahlender Sonnenschein, aber auch 50 Knoten Wind (Windstaerke 10), weswegen ein Landgang leider nicht moeglich war, weder am Vor- noch am Nachmittag. Dafuer sind wir in der Wedellsee herumgekreuzt und konnten dabei einige der groessten Eisberge der Welt sehen, sogenannte tabulare Eisberge, die es nur in der Antarktis gibt. Einige sollen so gross wie Belgien sein, und ein vergleichsweise winziges Exemplar mit einer halben Seemeile Durchmesser wog nach unseren Berechnungen (fuer die wir immerhin eine Flasche Sekt gewonnen haben!) ueber 34 Millionen Tonnen!

 

Am naechsten Morgen war ein Landgang an der anvisierten Stelle auch nicht moeglich – dieses Mal versperrte Packeis den Weg. Die Verhaeltnisse in dieser extrem unwirtlichen Region aendern sich eben staendig, und da wir in dieser Saison eines der ersten Kreuzfahrtschiffe waren, lagen auch keine Erfahrungswerte anderer Kapitaene vor. Die Fahrt war trotzdem spektakulaer, denn anstatt vor dem Eis umzudrehen, ist Asparuh, unser russischer Captain, mitten hineingefahren und wir konnten vom Bug aus beobachten, wie die Expedition die Eisdecke aufbrach und sich einen Weg durch die Eisschollen bahnte. Ein ganzer Schwarm Pinguine freute sich ueber die von uns geschaffene „freie Bahn“ und folgte uns unermuedlich im Kielwasser. Schliesslich hatte Asparuh den Kahn ordnungsgemaess eingeparkt („garaged“ ist ein Begriff der Seefahrtssprache, der besagt, dass das Schiff vom Eis gestoppt wurde) und wir drehten wieder um.

 

Am Nachmittag ging es endlich wieder an Land, und sogar auf den Kontinent selber (zum ersten Mal nicht auf eine vorgelagerte Insel). Einige unserer Mitreisenden liessen sich mit diversen Landes- und Firmenflaggen ablichten, wer’s braucht...im Allgemeinen boten die Touris uebrigens erstaunlich wenig Laesterpotential und verhielten sich sehr diszipliniert, angenehm! Auch der Altersschnitt war fuer eine Kreuzfahrt ungewoehnlich, die meisten Leute waren zwischen 30 und 50 Jahre alt. Fuer Mutti U. waer’s allerdings nichts gewesen, vornehme Kleidung war Fehlanzeige, dafuer gabs eher Trekkingsandalen und Leggings zu bewundern, was aber unserem Weltreisegepaeck durchaus entgegen kam. Der Butzi hat dann an einem Abend aber doch noch alle mit seinem Anzug verbluefft, garniert mit dem coolen Statement, das Teil habe er zufaellig in seinem Rucksack gefunden. Ich hingegen habe mit meinem Jugenherbergsschlafsack ein Miyake-Abendkleid simuliert...

 

Am 13.11. erreichten wir mit 64° 54‘ Sued den suedlichsten Punkt unserer gesamten Reise – ein Landgang war leider nicht drin, aber dafuer eine spannende Rundfahrt im Schlauchboot in der „Paradise Bay“ (Palmen haben wir keine gesehen). Am Nachmittag steuerten wir dann den vermutlich beklopptesten Souvenirladen der Welt an. Port Lockroy ist eine ehemalige englische Militaerbasis und spaetere Forschungsstation, heute allerdings tatsaechlich „nur“ ein Andenkenladen mit einem kleinen Museum. Unser Schiff war uebrigens das „Taxi“ fuer die diesjaehrige Sommerbesatzung des Ladens, zwei junge Englaenderinnen. Ausserdem war auch noch ein Zimmermann dabei, der schon seinen zweiten Sommer in der Antarktis verbringt und in den naechsten Monaten verschiedene Huetten der ersten Entdecker restaurieren soll. Die spinnen, die Briten!

 

Am Abend erwartete uns ein weiteres Highlight: Barbeque an Deck! Auf dem Achterdeck wurde alles aufgefahren, was zu einer anstaendigen Grillage dazugehoert, und spaeter konnten wir den unglaublichsten Sonnenuntergang, den wir je gesehen haben, geniessen. Einige Glueckliche nutzten die verhaeltnismaessig laue Nacht, um am Ufer zu campen. Haetten wir auch gerne gemacht, war aber schon seit Ewigkeiten ausgebucht, so dass wir mit unserem Last-Minute-Ticket keine Chance mehr auf dieses Extra hatten.

 

Am naechsten Tag ging es durch den Neumeyer Channel Richtung Wilhelmina Bay und schliesslich nach Mikkelsen Harbour, wo wir einen weiteren Landgang mit jeder Menge unerschrockener, putziger Pinguinen geniessen konnten.

 

Am 15.11. ging es am Morgen nach Deception Island, einen der wenigen aktiven Vulkane der Welt, dessen mit Wasser vollgelaufenen Krater man mit dem Schiff befahren kann. Die Einfahrt ist winzig und wegen Unterwasserfelsen tueckisch – ein Wrack eines britischen Militaerschiffs auf dem Strand zeugt davon. Asparuh hat uns aber sicher in die „Whaler’s Bay“, eine Bucht mit ehemaliger Walfangstation navigiert. Dort liegen Unmengen an Walknochen verstreut herum, und man sieht noch die langsam verfallenen rostigen Waloeltanks und Blubberoefen. Kaum vorstellbar, welche Massaker an den riesigen Meeressaeugern sich hier abgespielt haben! Diese Zeiten sind zum Glueck vorbei und wir nutzten das schoene Wetter zu einem Badevergnuegen. Dieses fiel wegen der mit -2°C doch recht erfrischenden Wassertemperatur allerdings nur recht kurz aus...

 

Nachdem wir am Nachmittag noch einen Fuss auf Halfmoon Island setzten durften und dabei einen einzigen Macaronipinguin inmitten einer grossen Zuegelpinguinkolonie erspaehten (Identitaetskrise?), fiel die Landung am naechsten Morgen einmal mehr ins Wasser. Am Nachmittag bot sich aber immerhin zum Abschied vom liebgewonnenen „Weissen Kontinent“ noch die einmalige Gelegenheit, einer polnischen Forschungsstation einen Besuch abzustatten. Ins Labor konnten wir zwar nicht, aber im gemuetlichen Aufenthaltsraum wurden wir fuerstlich mit Tee und Suessigkeiten bewirtet. Ich hatte etwas Angst, den armen Leuten als sowieso schon fettgemaestetem Kreuzfahrttouri ihre spaerlichen Rationen wegzufressen, so dass sie nicht ueber den Winter kommen! Angeblich war das meiste aber noch von der Winterration uebrig und die frischen Vorraete fuer den nahenden Sommer waren gerade angekommen. Ich war beruhigt! Am Strand konnten wir einige kollosale Seeelefanten beobachten, ein Weibchen mit Jungem und zwei Maennchen. Obwohl es sich um kleine Exemplare gehandelt haben soll, waren die schon ganz schoen fett und schwabbelig! Trotzdem sind sie sogar an Land erstaunlich behende, der groessere Bulle (ca. 2,5 Tonnen schwer) robbte in flottem Tempo ins Wasser und hinterliess dabei eine Spur wie von einem Panzer auf dem schwarzen Sand.

 

Leider ging es am naechsten Morgen schon zurueck durch die uns ein weiteres Mal freundlich gesonnene Drake Passage (nur ausgerechnet der riesengrosse wikingerartige junge Daene hing die ganze Zeit wie ein Schluck Wasser in der Kurve und schaute von Seekrankheit gezeichnet schwer leidend aus der Waesche) Richtung Ushuaia, wo wir nach einer Nacht vor Anker im Beagle Channel puenktlich um 8.00 Uhr am 19. November am Kai festmachten.

 

Dieser Teil unserer grossen Reise war viel zu schnell vorueber, aber in Gedanken bleibe ich sicher noch lange in der grossen weissen Stille der letzten wahren Wildnis der Erde!

 

 

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Sarah (Dienstag, 22 November 2011 23:23)

    Wie war nochmal der Macaronipinguin?? ;)

  • #2

    Alex (Mittwoch, 23 November 2011)

    Seid ihr nach dem Einschiffen dann an Bord gegangen:)?

  • #3

    muddi (Donnerstag, 24 November 2011 20:30)

    bin ja sowas von beeindruckt,liest sich ja auch so schön,wie ein Reisebuch. Steigerung nicht mehr möglich,ganz toll....